von Dr. Christa Pfafferott

bei der Tagung Maßregelvollzug und Zivilgesellschaft – ein neuer Blick auf Kommunikation und Trialog“

Pfalzklinikum, Klingelmünster, 21. März 2019

Sehr geehrte Damen und Herren,
vielen Dank für die Einladung zu Ihrer Tagung. Ich freue mich abschließend einen Blick von außen auf den Maßregelvollzug und die gesellschaftliche Verantwortung richten zu können.
Ich bin in einer besonderen Position in die Klinik für Forensische Psychiatrie gegangen. Als Filmemacherin: Ich habe in Koproduktion mit dem SWR den 80-minütigen Film „Andere Welt“ in der Klinik Nette-Gut in Weißenthurm gedreht. Als Filmemacherin, Fotografin und Autorin habe ich mich insgesamt über einen Zeitraum von zwei Jahren mit der Klinik auseinandergesetzt. In diesem Zusammenhang habe ich auch viele Erfahrungen im Umgang mit Verantwortung gesammelt. Auf diese Sicht, die ich mir so als Außenstehende machen konnte, möchte ich nun in meinem Vortrag in den drei folgenden Punkten eingehen: Die Verantwortung der Medien, die Verantwortung des Personals und die Verantwortung des zivilgesellschaftlichen Umfelds

(Bild: Schaubild)

Zu Beginn meiner Film-Arbeit beschäftigte mich die Frage: Wie gehen die, die Verantwortung und auch Macht haben, damit um? Ich wollte einen Film über das behandelnde Personal drehen, das in seiner Position sehr viel Verantwortung besitzt. Während ich mich in der Klinik aufhielt, wurde jedoch deutlich: Das Personal hat nicht die Verantwortung. Es gibt niemanden, der Verantwortung hat. Verantwortung ist ein Prozess (1), der durch verschiedene Positionen gebildet wird und alle Akteur*innen mit einbezieht. Wie diese Mechanismen wirken, habe ich mir genauer angeschaut.

Ich zeige nun einführend die erste Szene aus dem Film „Andere Welt“, in der eine Pflegerin die Sicherheitsschleuse betritt, um Einlass in die Klinik zu erhalten:

(Eingangs-Filmszene aus „Andere Welt“)

Diese Szene zeigt symbolisch: Es ist nicht leicht in die Klinik reinzukommen. Und: Auch das Personal muss bestimmtes Verhalten zeigen, um Einlass zu erhalten und zu behalten.
Eine Klinik für forensische Psychiatrie ist ein abgeschlossenes räumliches System, das in vielen Fällen schon durch Zäune zeigt, dass hier ein besonderer Teil der Gesellschaft beginnt.
Ich bin sehr dankbar, dass die Klinik mich und das Filmteam in diese Welt hineingelassen hat, dass sie sich dem Blick der Kamera ausgesetzt hat. Das ist nicht selbstverständlich. Und damit bin ich gleich beim ersten Punkt:

1. Gesellschaftliche Öffnung des Maßregelvollzugs durch Medien

Wenn ich erzähle, dass ich in der Forensischen Psychiatrie drehe, wissen die Leute meist garnicht, von was ich rede. Sie setzen Forensik mit Allgemein-Psychiatrie oder mit Gerichtsmedizin gleich. Auch bei den Medien ist hier teilweise noch Unkenntnis. Als über meinen Film berichtet wurde, wählten Rezensent*innen dabei wie im Beispiel hier im Titel die Allgemein-Psychiatrie anstatt wie korrekt „Forensische Psychiatrie“.

(Bild Zeitungsartikel)

Das könnte auch damit zusammenhängen, dass Medienvertreter*innen davon ausgehen, dass die Leser*innen nicht wissen, was Forensische Psychiatrie bedeutet: Weil es kompliziert ist, die Regelungen des Maßregelvollzugs anschaulich zu machen. Hier haben Medienvertreter*innen natürlich die Verantwortung klar zu kommunizieren –
Aber: Ein wesentlicher Punkt meines Vortrags ist auch, dass der Maßregelvollzug selbst aktiv darin werden sollte, über sich zu kommunizieren und nicht defensiv darin bleibt, was andere über ihn sagen.
Meine Empfehlung als Außenstehende ist: Gehen Sie selbstbewusst nach außen, teilen Sie sich mit, informieren Sie und beziehen Sie Stellung.
Ich würde mir auch wünschen, dass Sie sich mit Ihrem Wissen in gesetzliche Reformprozesse einmischen. Denn Sie sind vor Ort. Sie sind die Expert*innen. Das bedeutet nicht, dass ein hierarchisches Gefälle entstehen soll, doch dass Sie durch Ihr Wissen Vertrauen im Umgang mit Medien-Vertreter*innen und der Zivilgesellschaft aufbauen. Denn: Je mehr Wissen vorhanden ist, umso mehr werden Vorurteile und Ängste abgebaut.

Nach meiner Beobachtung färbt die Stigmatisierung, die den Patient*innen entgegengebracht wird, teilweise mit auf das Personal ab. Das hat auch heute Morgen bei der Tagung die Patientenfürsprecherin erzählt.
Im Zuge meiner Filmarbeiten fiel auf, dass manche Personen glauben, es ginge Täter*innen im Maßregelvollzug besser als im Gefängnis. Dass sie auf Kosten des Staates ein schöneres Leben hätten und das Personal für ihre Taten auch noch Verständnis hätte.

Es ist wichtig zu vermitteln, dass der Maßregelvollzug nicht etwa die Taten der Patient*innen billigt, sondern hier eine bedeutsame Arbeit geschieht, um die Gesellschaft nachhaltig zu schützten und die Patient*innen wieder zu einem Teil der Gesellschaft werden zu lassen.
Menschen, die gefährlich und psychisch beeinträchtigt sind, benötigen einen Ort, an denen ihnen geholfen wird. Man muss sich mit Menschen auseinanderzusetzen. Dafür ist konkrete Beziehungsarbeit notwendig, so wie Sie es alle tagtäglich machen, wofür ich Ihnen heute allen auch meinen Respekt aussprechen will. Die forensische Psychiatrie kann unter bestimmten Umständen eine Chance sein. Für die Patient*innen – und für die Gesellschaft. Wie können Sie das kommunizieren?

2: Lassen Sie Medienvertreter*innen rein

Die Klinik hat mich trotz mancher Ängste und Vorbehalte für 25 Tage drehen lassen. Dafür bin ich dankbar.
Es gibt Boulevardmedien, die aus psychisch erkrankten Täter*innen Auflage machen wollen, das haben wir heute Vormittag auch im Vortrag gehört. Aber: Es gibt genügend Medien-Vertreter*innen, die sich um eine differenzierte und seriöse Auseinandersetzung bemühen.
Unser Film ist wiederholt im öffentlich-rechtlichen Fernsehen und auf vielen Festivals gelaufen, er hat den Marlies-Hesse-Preis gewonnen. Die Leute haben dazu in Diskussionsrunden diskutiert. Der Film stellt bis heute mehr als fünf Jahre seit Fertigstellung eine Öffentlichkeit her.

Doch in die Klinik hineinzukommen, dort drehen zu dürfen, war auch mit einiger Anstrengung, Herausforderung und viel Kommunikation verbunden.

Meine Empfehlung ist: Machen Sie das Angebot niedrigschwellig für Medienvertreter*innen und auch Künstler*innen. Es gibt viele, die interessiert sind, sich mit forensischer Psychiatrie auseinanderzusetzen. In Hochschulen kamen Studierende auf mich zu und fragten mich, wie ich es geschafft hätte in der Klinik zu drehen, sie seien oft von Institutionen abgewiesen worden.
Als Institution können Sie klar machen, dass Sie mit Journalist*innen zusammenarbeiten wollen, dass Sie verstehen, was Journalismus ist und sich auch keine PR, sondern eine differenzierte Darstellung wünschen. Es ist wichtig hier als Institution in die Medienkompetenz z.B. in Form von Fortbildungen zu investieren und ihre Medienbeauftragten zu bilden, damit sie in vertrauensvoller Augenhöhe mit Medienvertreter*innen kommunizieren. Sie können Ihre Regeln mitteilen, aber respektieren Sie auch die Regeln und Notwendigkeiten des Journalismus. So kann tiefgehende Berichterstattung geschehen.

Sie als Pfalzklinikum kommunizieren den Umgang mit der Presse schon sehr gut auf Ihrer Internet-Seite.

(Bild-Internet-Seite Pfalzklinikum)

Ich möchte Ihnen jedoch empfehlen noch deutlicher zu machen, dass Sie Medien aufgeschlossen entgegentreten und dies auch in die Zukunft gerichtet kommunizieren. Hier ein Vorschlag von mir als Außenstehende, wie Sie dies noch expliziter darstellen könnten:

(Bild Vorschlag zum Dialog mit Medien)

Sprechen Sie uns an:
Es ist uns wichtig mit Medien-Vertreter*innen zusammenzuarbeiten, um die Unterbringung im Maßregelvollzug nach Außen zu kommunizieren.
Sprechen Sie uns gerne an und treten Sie mit uns in Kontakt, um dafür einen Umgang zu finden.
Wir möchten Sie gerne unterstützen und freuen uns auf Ihre Nachricht!

Mein Film begann mit einer einwöchigen Hospitanz in der Klinik. Das hat mir sehr in der späteren Auseinandersetzung geholfen.
Bieten Sie Pressvertreter*innen Hospitanzen an, in denen sie ein paar Tage die Bereiche durchlaufen, um die Arbeit wirklich kennenzulernen.

3. Werden Sie selbst kreativ!

Werden Sie selbst kreativ: Schreiben Sie für die Öffentlichkeit an Schulen, Hochschulen Schreib-Wettbewerbe und Film-Wettbewerbe über den Maßregelvollzug aus und laden Sie dazu die Teilnehmer*innen in die Klinik ein.
Hier das Beispiel einer Fotoarbeit für das Süddeutsche-Zeitung Magazin, die ich im Maßregelvollzug über die Regalbretter der Patient*innen gemacht habe.

(Bild: Foto-Arbeit aus Serie Süddeutsche-Zeitung-Magazin)

Schaffen Sie eigene Internet-Plattformen oder nutzen Sie bestehende wie youtube, wo Patient*innen ihre Geschichte und von ihrer Entwicklung erzählen.
Es liegt in der Verantwortung der Medien, aber auch in Ihrer, dass Sie Bilder zum Maßregelvollzug schaffen und den Zugang zu Bildern und Erfahrungen ermöglichen.
Sichtbarkeit ist ein wichtiger Schritt, um die abgeschlossene Welt des Maßregelvollzugs verständlicher zu machen – Sichtbarkeit und Sprache:

4. Das Gesetz und Sprache – Entstigmatsierung von Gesetzestermini

Sprache kann viel verändern. Deswegen ist es wichtig mit Sprache differenziert umzugehen und dass auch die Medien Unterschiede etwa zwischen Gefängnis, Maßregelvollzug und Sicherheitsverwahrung korrekt kommunizieren.
Doch: Gesetze verändern die Realität. Gesetze haben maßgebliche Wirkungsmacht im System des Maßregelvollzugs. Umso wichtiger ist, dass der Maßregelvollzug sich gesetzlich in einem kontinuierlichen Reform-Prozess befindet.
– Es ist nicht nur wichtig, wie Medien sprachlich den Maßregelvollzug kommunizieren. Es ist mindestens genauso wichtig, wie das Gesetz die Unterbringung im Maßregelvollzug kommuniziert.
Ich empfehle dringend, Termini wie die Schuldunfähigkeit nach Paragraf 20 StGb „Schuldunfähigkeit wegen seelischer Störungen“ in ihrem Wortlaut im Gesetzesstext zu entstigmatisieren und einem zeitgemäßen Umgang mit psychischer Erkrankung anzupassen.

(Bild Tafel Gesetzestext § 20 Schuldunfähigkeit wegen seelischer Störungen)

Ohne Schuld handelt, wer bei Begehung der Tat wegen einer krankhaften seelischen Störung, wegen einer tiefgreifenden Bewusstseinsstörung oder wegen Schwachsinns oder einer schweren anderen seelischen Abartigkeit unfähig ist, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln.

Es ist notwendig, dass die Wirkung, die durch Definitionen wie „schwere andere seelische Abartigkeit“ oder „Schwachsinn“ in der Wahrnehmung der Patient*innen wie in der Gesellschaft produziert wird, entkräftet wird.
Dazu könnten Sie im Verbund von Kliniken in anderer Argumentationskraft als Privatpersonen Veränderunsgvorschläge anregen. Ich empfehle auch, dass sie sich in der Kommunikation mit Medien bei Tagungen oder Fortbildungen austauschen und untereinander Anregungen für einen transparenten Umgang geben. Arbeiten Sie als Kliniken untereinander zusammen.

Es war für uns eine besondere Gelegenheit, als Filmteam einen Einblick zu erhalten. Aber, das muss ich auch sagen – ich habe wahrgenommen, dass der Komplex Maßregelvollzug und das Regelwerk, das mit ihm einhergeht, eine Stimmung von Misstrauen und Paranoia schüren kann, die auch auf mich Außenstehende abgefärbt hat.

5. Vertrauensaufbau mit dem Personal

Die Patient*innen und das Personal sind einem umfassenden Regelwerk ausgesetzt: Ärztliche Visiten, Essen, Geld-, Medikamenten-Ausgabe, Therapie, Nachtruhe, Hofgang, Zigarettenpausen – sämtliche Bedürfnisse und Begebenheiten sind zeitlich reglementiert und werden kontrolliert.
Mit vielen Regeln können auch immer wieder Fehler passieren. Ich habe wahrgnommen, dass die Pfleger*innen auch Angst davor hatten, dass ich sie bei einem vermeintlichen Regelverstoß filmen und für ihre Vorgesetzten sichtbar machen würde. Innerhalb des Hierarchie-Gefüges und Regelwerks handelte das Personal manchmal nach meinem Eindruck, wie unter einem imaginären Kontrollblick. Die Bestimmungen für die Patient*innen werden auch zu den Bestimmungen des Personals.

(Filmszene Patientin Min: 37:01-39:15 )

Diese Angst vor Fehlern, dass alles wie unter einer Lupe betrachtet wird, spannt in diesem anstrengenden Arbeitsfeld zusätzlich an. Es ist wichtig angstfrei über Fehler reden zu dürfen.
In der Einschätzung von Patient*innen geht es auch immer um eine eigene Wahrnehmung des Personals. Es ist notwendig, hier zwischen dem eigenen Verhältnis zu den Patient*innen und ihrer Gefährlichkeit zu trennen. Daher sind Supervisionen und externe Begutachtung so überaus wichtig.
Um mit Verantwortung richtig umgehen zu können, darf keine Angst davor bestehen, diese Verantwortung zu gebrauchen. Dies können Sie in Ihren Strukturen vor allem als Vorgesetzte durch eine Atmosphäre von Vertrauen schaffen, die auch im Umgang mit Medien wichtig ist. Wenn ich als Medien*vertreterin Vertrauen zu Ihnen habe, kann ich angstfrei über Fragen und Unsicherheiten im Umgang mit dem Thema Maßregelvollzug reden.

6. Perspektiven vermitteln, Ohnmacht der unbestimmten Unterbringungsdauer

Ein weiterer Faktor, der mir in der Unterbringung im Maßregelvollzug als maßgeblich wichtig erscheint, ist der Faktor der Zeit.
Im Maßregelvollzug sind die Patient*innen in einem bestimmten Raum eingeschlossen, die Zeit, die sie hier verbringen ist jedoch als unbestimmt festgesetzt.
Durch die unbestimmte Unterbringungsdauer besitzen die Patient*innen so gut wie keine Zeit-Perspektive und Zeit-Kontrolle mehr über ihr Leben.
In meinem Erleben war die „Unbestimmte Zeit“ der Unterbringungsdauer der maßgebliche Faktor dafür, der die Patient*innen in Ohnmacht gebracht hat, der die Machtverhältnisse zwischen Personal und Patient*innen in ein Ungleichgewicht geführt hat. Es können keine Voraussagen gemacht werden, wann ein Mensch nicht mehr gefährlich ist – doch es ist wichtig, zum Zwecke der Resozialisierung Perspektiven zu setzen. Menschen brauchen Hoffnung, um zu gesunden.

Menschen benötigen auch soziale Kontakte, Patient*innen vielleicht sogar noch umso mehr.
Ihr Bedürfnis nach Freiheit kollidiert jedoch damit, dass die Bevölkerung geschützt werden will. Sie möchte oft garnicht erst in Kontakt kommen. Insbesondere, wenn Menschen keinen Einblick haben, heißt es schnell, „die sollen drin blieben, das macht uns Angst.“
Doch: Eine Unterbringung, die nicht mehr in die Freiheit führt, läuft Gefahr, dass ihr Sinn, und damit die Motivation sie zu gestalten, infrage gestellt wird: Und das für alle Beteiligten.
Die zeitliche Perspektive der Unterbringung sollte also für die Patient*innen wie die Gesellschaft konkreter formuliert werden.

Es gibt Täter*innentypen, bei denen eine Freilassung aufgrund der Gefährlichkeit für die Gesellschaft kaum möglich ist. Doch bei Patient*innen, bei denen das nicht der Fall ist, möchte ich dazu anregen, dass sie als Kliniken in ihrem Ermessen eigene Vorschläge machen, wie im Rahmen der unbestimmten Unterbringungszeit zeitliche Ziele und Hoffnung gegeben werden können.

Als Gesellschaft verlangen wir von den Patient*innen, dass sie sich bessern. Doch welche Rolle hat die Gesellschaft in diesem Prozess? Wie muss sie sich bessern?
Das zivilgesellschaftliche Umfeld ist auch mit verantwortlich dafür, dass es den Patient*innen besser geht. Wie kann das vermittelt werden?

7. Öffnung ins zivilgesellschaftliche Umfeld/ Nachbarschaft

Man kann schnell pauschale Urteile über Gesellschaftsgruppen fällen – sobald ich aber zu einem Menschen ein persönliches Verhältnis aufgebaut habe, ändert sich das. Insbesondere wenn ich in der Nachbarschaft des Maßregelvollzugs wohne, besteht hier meines Erachtens auch eine Verantwortung der Anwohner*innen, sich mit den Menschen in der Klinik auseinanderzusetzen.
Doch dazu sollten Anregungen von der Klinik kommen. Ich finde es toll, wie das Pfalzklinikum hier bereits im Dialog ist, was sie hier in all den Jahren aufgebaut haben. Ich möchte hier noch einen weiteren Vorschlag machen, wie die Klinik die Nachbarschaft weiter einbinden kann:

Patenschaften: Wäre es vorstellbar, dass unter Aufsicht Patenschaften entstehen, bei denen sich Bewohner*innen und Anwohner*innen gegenseitig etwas beibringen?
Haben Anwohner*innen eine Werkstatt, können sie nähen, schwimmen, kochen, haben sie ein anderes Hobby, das sie weitergeben können? Was können die Patient*innen den Anwohner*innen beibringen? Hier könnten unter Aufsicht Tandems entstehen, die sich gegenseitig stärken.
Qualifizierung: Kann das ehrenamtliche Engagement im Maßregelvollzug in Fortbildungspunkten oder vielleicht auch in Form einer Minijob-Vergütung zusätzlich attraktiv gemacht werden?
Präventiv-Aufklärung: Durch Expert*innen-Wissen Schutz vor Gewalttaten:
Der Maßregelvollzug sollte nach meiner Empfehlung auch in die Gesellschaft wirken, in dem er zeigt, dass er präventiv wirken kann. Der Maßregelvollzug kann kommunizieren, dass er schon im Vorhinein aufklärt, mit dem Ziel, dass weniger Gewalttaten entstehen.
Möglich wäre es hier, in Sportvereine und Schulen im Umfeld zu gehen, und als Personal aus direkter Erfahrung darüber zu sprechen, wie man Kindern vor Übergriffen schützen kann, wo es hier für Eltern frühzeitige Erkennungszeichen gibt.

8. Der Maßregelvollzug ist keine „Andere Welt“ – er ist Teil der Welt

Die Mechanismen von Sicherung, die im abgeschlossenen System wie dem der Klinik wirken, sind auch in der steigenden Entwicklung von Datenerfassung und Videoüberwachung im öffentlichen Raum wirksam.
In unserer Gesellschaft wächst die Kontrolle durch Sicherheitsbedürfnisse, die Kriminalität oder abweichendes Verhalten vorbestimmen wollen (2).
Die Fragen von Freiheit und Sicherheit sind vor den Klinikzäunen ebenso eklatant (3). Die andere Welt der Klinik ist damit keine andere. Sie gehört zur Welt dazu.
Umso mehr sollte sich die Gesellschaft dem Maßregelvollzug öffnen. Und der Maßregelvollzug der Gesellschaft. Denn es gibt niemanden, der die Verantwortung feststehend hat. Sie verteilt sich zwischen uns allen.

„Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit“

 

  1. vgl. Foucault, Michel: Der Wille zum Wissen. Sexualität und Wahrheit I, Frankfurt am Main 1983 (1. Auflage), S. 94.
  2. vgl. Imbusch, Peter, in: Kontrolle: Einführung, in: Imbusch, Peter / Heitmeyer, Wilhelm (Hg.): Integration – Desintegration. Ein Reader zur Ordnungsproblematik moderner Gesellschaften, Wiesbaden 2008, S. 463 – 468, hier: S. 463.
  3. Teile der Gedanken des Vortrags entleihen sich der Publikation: Pfafferott, Christa: Der panoptische Blick. Macht und Ohnmacht in der forensischen Psychiatrie. Künstlerische Forschung in einer anderen Welt, Bielefeld 2015.

Foto: Filmstill „Andere Welt“ © av medien penrose, Kamera: Eva Katharina Bühler

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