erschienen in der Kolumne „Zwischen Menschen“ in taz. Die Tageszeitung, 19.5.2023

Kleinanzeigen im Internet. Wie so oft treffe ich darüber einen Menschen, von dem ich etwas Gebrauchtes kaufe, was für mich wichtig werden wird.

Nun ist es ein Rad. Ich habe dieses Modell bei einem Freund entdeckt, doch noch gezögert, es mir auch zu kaufen. Dann habe ich das gleiche Radmodell fast neu in der Gebrauchtbörse entdeckt, aber viel günstiger.

Jetzt bin ich unterwegs. In mir dieses Prickeln, dass sich gleich etwas ereignen könnte. Eine Anschaffung, die meinen Alltag bereichert.

Ich fahre in eine feine Gegend in Hamburg. Eine junge Frau öffnet. Sie erzählt, dass sie das Rad verkaufen will, weil ihr Freund nicht viel Fahrrad fahre. Und eigentlich wolle sie ein Hollandrad. Sie hat das Rad, das ich mir anschaue, mit einigen Accessoires bereichert. Es wirkt, als würden es nur Details sein, warum es ihr doch nicht so gefällt.

Die Frau lässt mich eine Proberunde fahren und behält dafür meinen Personalausweis. Ich fahre um den Block und spüre sofort, dass ich dieses Rad kaufen will. Es ist stabil und fährt sich leicht, ich könnte damit immer weiterfahren. Als ich bei der Frau ankomme, machen wir den Verkauf perfekt. Ich überweise ihr die Summe mit meinem Handy online. Sie checkt auf ihrem, ob der Betrag eingegangen ist. Dann überreicht sie mir den Schlüssel für das Radschloss. Einen kleinen schwarzen Schlüssel. Als er in meine Hand gleitet, spüre ich sofort die Bedeutung dessen. Der Besitz ist übertragen. Dieses Rad gehört nun mir.

Am Abend fahre ich mit dem Rad zu einem Vortrag und schließe es das erste Mal auf einem öffentlichen Platz an. Ich überlege genau, wie ich es anbinde. Die Freiheit, die mir das Rad gibt, bindet mich nun auch in die Verantwortung, mich um meinen Besitz zu kümmern.

Bei dem Vortrag geht es um Protest. Dabei redet die Philosophin Eva von Redecker über Besitz. Über die Verantwortung, die damit einhergeht, wenn wir uns Besitz anschaffen. Sie entwirft dazu ein Bild. Dass Gesellschaft wie ein Kuchen sei, an dem erst einmal alle teilhaben und theoretisch allen alles zur Verfügung steht. Der Raum und die Mittel. Wenn sich jedoch eine Person Privateigentum anschafft, das nur ihr gehört, schneidet sie ein Stück aus dem gesamten Kuchen heraus. Mit diesem Schnitt steht ein Teil nicht mehr der Gemeinschaft zur Verfügung, sondern nur dieser Person.

Mit dem Kuchenstück darf die Person nun umgehen, wie sie will. Dazu kann ihr kaum noch jemand etwas sagen, etwa wenn es sich um ein Grundstück handelt. Das Recht auf Eigentum ist ein menschliches und im Grundgesetz verankert. Doch vielleicht bedarf es in Zeiten wie diesen eines Überdenkens, welche Stücke wir uns „herausnehmen“.

Denn jeder Schnitt geht in einen Kuchen, der nur begrenzt zur Verfügung steht. Ein Auto etwa verbraucht Ressourcen, nimmt sich Raum heraus zum Fahren, Parken, stößt Schadstoffe aus und schneidet so auch aus der Ressource Luft heraus. Krümel für Krümel macht privater Besitz den Kuchen kleiner. Deshalb hat jedes Eigentum Bedeutung. Jede Anschaffung ist ein Schnitt. Jedes Handy, jedes Flugticket – ein Schnitt. Jeder Konsum – ein Schnitt.

Wer Gebrauchtes kauft, setzt keinen neuen Schnitt, sondern nutzt den schon gemachten. Ähnlich dem Gang über eine Wiese, schlägt man keinen neuen Pfad, sondern betritt den Pfad, der schon entstanden ist. Doch der Schnitt vertieft sich damit, etwa wenn man ein gebrauchtes Auto weiterfährt.

Das Bild von Besitz als Schnitt bleibt in mir, als ich an dem Abend mein Rad wieder aufschließe. Und ich denke, dass ich mit jedem Besitz nicht nur etwas aus der Gemeinschaft, sondern auch aus mir selbst herausschneide. Aus meiner Freiheit, über meine Ressourcen zu verfügen. Mit jedem Stück Besitz bin ich mehr gebunden an etwas.

Seitdem ich das Rad besitze, freut es mich jeden Tag. Dieser Schnitt war es wert. Doch welche Schnitte setze ich sonst in den Kuchen der Gemeinschaft?

Go top