„Hilft eine gesetzliche Quote?“ – Interview DIE ZEIT Campus

Erschienen in der Ausgabe von DIE ZEIT Campus 04/2011

Herr Uslucan, Sie leiten das Zentrum für Türkeistudien und Integrationsforschung in Essen. Vor dem Hintergrund Ihrer Erfahrungen mit Migranten: Braucht Fairness gesetzliche Quoten?

Diskriminierung kann subtil sein, es gibt gläserne Hürden. Wenn Chancengleichheit im Gesetz verankert wird, kann sich langfristig auch das Bewusstsein ändern. Eine gesetzlich geregelte Frauenquote klingt für viele noch unattraktiv, aber so war es mit dem Antidiskriminierungsgesetz aus dem Jahr 2006 auch. Als das Gesetz eingeführt wurde, war es sehr umstritten.

Und heute?

Heute akzeptieren die meisten Menschen, dass sich Minderheiten gegen subtile Diskriminierung wehren können. Und für die Betroffenen selbst macht es einen großen Unterschied. Allein das Wissen, dass man auf rechtlichem Wege gegen eine erlittene Ungerechtigkeit kämpfen kann, und das mit Aussicht auf Erfolg, stärkt das Selbstbewusstsein und verleiht Kraft, sich für seine Rechte auch einzusetzen. Man tritt dann auch nach au.en ganz anders auf. Umgekehrt können für die Gesellschaft Rechtsnormen nach und nach zum echten moralischen Mß.stab werden.

Gesetze können unser Denken beeinflussen?

Ja. Nehmen Sie zum Beispiel die Gewalt in der Kindererziehung. Früher wurde diskutiert, ob manche Kinder eine Tracht Prügel verdienen. Seit das Verbot, Kinder zu schlagen, im Gesetz steht, muss es nicht mehr moralisch begründet werden. Moral wirkt stärker im sozialen Nahraum, Rechtsnormen wirken in der Öffentlichkeit. Wenn wir also öffentlich etwas ändern wollen, geht das durch Gesetze einfacher. Menschen befolgen Gesetze selbst dann, wenn sie moralisch nicht davon überzeugt sind.

Ist es nicht kleingeistig, seine Moral nur aufgrund von Gesetzen zu ändern?

In der Tat scheinen Gesetze in Deutschland einen höheren Stellenwert zu haben als in anderen Ländern. Das Recht hat aber auch eine entlastende Funktion. Es ist eine Zentralmacht, die das Richtige definiert. Man muss nicht mehr moralisch diskutieren, sondern kann auf eine gesetzliche Grundlage verweisen.

Es gibt den abfälligen Begriff der Quotenfrau. Zeigt das nicht, dass solche Gesetze manchmal als unfair empfunden werden?

Wieso unfair? Eine Frau, die ihren Job über eine Quote bekommen hat, ist einem höheren Rechtfertigungsdruck ausgesetzt. Sie muss nicht nur gut, sie muss sogar besser sein. Das zeigt, dass Diskriminierung viel stärker im Bewusstsein steckt, als wir oft denken. Deswegen kann eine gesetzlich geregelte Quote, auch wenn sie als ungerecht beurteilt wird, so lange sinnvoll sein, bis sie die historisch gewachsene Ungerechtigkeit egalisiert. Sie könnte also nur so lange gelten, wie Frauen benachteiligt werden, danach kann man sie abschaffen.

Haci Halil Uslucan, 46, ist Professor an der Uni Duisburg-Essen und leitet das Zentrum für Türkeistudien und Integrationsforschung; das Interview führte Christa Pfafferott

© DIE ZEIT Campus

 

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