„Einer liegt da wie zum Sterben“ – taz
erschienen in der Kolumne „Zwischen Menschen“ in taz. Die Tageszeitung, 13.12.2024
Hamburg-St. Pauli. Ein Dezembertag. Dünner Regen setzt ein. Ich gehe die Wohlwillstraße hinunter und ziehe meine Kapuze über. Links neben mir in einer Einfahrt, die zu Hinterhäusern führt, sehe ich einen Körper auf dem Boden. Es muss ein Körper sein. Da liegt ein Schlafsack, kaum erhöht, auf einer dünnen Matte. Aus dem Schlafsack ragt ein Schuh. Kein Kopf ist zu sehen, kein Gesicht. Auf St. Pauli, fast überall in der Stadt, liegen häufig Menschen im Schlafsack auf dem Boden. Warum bringt mich dieser Anblick zum Stehen?
Vielleicht, weil dieser Mensch dort im Schlafsack so offensichtlich Schutz gesucht hat, sich weggelegt hat von der Straße. Unwirklich steigt ein Bild in mir hoch. Ein Mensch, der sich zur Seite geschleppt hat wie ein Tier zum Sterben.
Vielleicht berührt es mich auch zu sehen, dass dieser Mensch in Schuhen schläft. Natürlich, das ist wärmer. Aber es ist so unbequem, in Schuhen zu schlafen. Sehe ich Obdachlose, denke ich oft daran, wie zäh sie sein müssen, dass sie überhaupt in der Kälte schlafen können, auf unwegsamem Boden. Keine Wohnung zu haben bedeutet auch keinen bequemen und geschützten Schlaf zu haben. Vor Kurzem meinte ein Bekannter aus Oslo zu mir, dass es ihn so umtreiben würde, wie viele Menschen in Hamburg auf der Straße liegen. Dass es das so in Norwegen nicht gäbe.
Ich lege die Münzen auf ein Buch, das neben dem Schlafsack liegt. Dann denke ich, dass sie dort vielleicht jemand wegnimmt und rücke sie zur Seite, höre weiter den Atem, gleichmäßig und fest. Und dann denke ich, was mache ich hier eigentlich? Dieser Mensch wird sich gleich noch erschrecken, dass ich direkt vor ihm hocke. Ich lege die Münzen in einen umgekippten Becher, mit dem die Person vielleicht schon Geld gesammelt hat. Ich verlasse die Einfahrt, den Schlaf, die Sekunden geteilten Atems.