„Ein Mann, ein Becher“ – Süddeutsche Zeitung Magazin (Text und Bildserie)

Zum Projekt

Ein guter Freund von mir erkrankte an Krebs und musste die Räume in Kinderwunschkliniken und Praxen besuchen, in denen Männer Samenproben zur Untersuchung abgeben. Sein Wunsch: Mach daraus eine Fotoserie. Das habe ich getan und zusammen mit Felix Poplawsky verschiedene Räume in Deutschland fotografiert. Die Fotoserie „Ein Mann, ein Becher“ ist nun im Süddeutsche-Zeitung-Magazin erschienen, S. 42-46, 16.3.2018/ online hier.

Text: Christa Pfafferott

Die Idee zu dieser Fotoserie stammt von meinem besten Freund. Es ist sieben Jahre her, als die Ärzte ihm die Diagnose mitteilten: Krebs, mit 29. Ihre Empfehlung: Er solle seinen Samen konservieren lassen, denn es sei möglich, dass er durch die Chemotherapie zeugungsunfähig würde. Ein paar Tage später betrat er zum ersten Mal einen Raum in einer Klinik in Heidelberg, um zu masturbieren.

Es gibt keinen offiziellen Namen für diesen Raum. In den Praxen und Kliniken heißt er Animationsraum, Ejakulationsraum, Separée oder Stube. Es ist ein Zweck- und Leistungsraum, in dem pornografische Bilder Männern dabei helfen sollen, Fantasien zu entwickeln. Ein Ort, an dem Selbstbefriedigung zum Zweck der Fortpflanzung betrieben wird. Der Druck, Lust zu empfinden, steht oft in Kontrast zum existenziellen Befund, den die Abgabe der Proben nach sich zieht: Das Ejakulat der Patienten wird im Labor auf Zeugungsfähigkeit untersucht. Oder es wird konserviert und zur künstlichen Befruchtung aufbereitet.

Einige Monate später hatte mein Freund die Chemotherapie abgeschlossen. Nun wurde die Qualität seiner Spermien in regelmäßigen Abständen untersucht. Da er in verschiedenen Städten wohnte, besuchte er unterschiedliche Räume. Irgendwann war klar, dass er auf natürlichem Weg keine Kinder mehr zeugen würde. Er sagte mir, wie gern er Vater würde, gleichzeitig wusste er, dass das nur mit der Samenprobe gelingen könnte, die er damals, vor der Chemotherapie, in Heidelberg abgegeben hatte.

Er beschrieb mir die Räume, ihre Atmosphäre, ihre Einrichtung und wie er sich darin gefühlt hatte. Er war an Orten gewesen, über die nicht gesprochen wird. Vielleicht wollte er deshalb so viel darüber reden. Ein halbes Jahr später besuchte ich einige der Räume mit einem Kollegen. Und ob in München, Grevenbroich oder Hamburg, jeder Raum war beides, menschlich und alltäglich, aber auch künstlich und aseptisch, und erzählte etwas über die, die ihn einrichten, und die, die ihn besuchen.

In den Interviews mit den Ärzten und medizinischen Angestellten offenbarte sich die Sprachlosigkeit, die sich auf diese Räume gelegt hatte. In den Praxen sei es oft still, sagten viele. Die Paare im Wartezimmer redeten kaum miteinander. Der Druck, sich als potent zu erweisen, sei groß. So groß wie die Angst davor, es nicht zu sein, und die Scham. Mein Freund erzählte eher von praktischen Schwierigkeiten. Zum Beispiel, dass es gar nicht so leicht sei, im Stehen in einen Becher zu ejakulieren.

Die Videos und Fotos in den Räumen zeigen vor allem Bilder von Frauen mit langen Haaren und großen Brüsten. Neosexuelle Formen und Minderheitensexualitäten fehlen. Doch in dem fehlenden Diskurs liegt trotz mancher Ratlosigkeit auch etwas anderes – eine rührende Form der Menschlichkeit, ein Bemühen darum, dass etwas Neues entstehen kann. In diesem ersten Raum in Heidelberg hat für meinen besten Freund tatsächlich etwas Neues begonnen. Er ist vor drei Jahren Vater geworden. Durch künstliche Befruchtung. Sein Kind heißt Ole.

Fotos für das Süddeutsche Zeitung Magazin: (all rights) ©Christa Pfafferott, Felix Poplawsky. Weitere Fotos und Protokolle → hier.

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