„Gegen Mauern brüllen macht stark“

erschienen in der Kolumne „Zwischen Menschen“, taz. die Tageszeitung, 20.7.2018

Abends reden die Menschen miteinander im Park. „Wie geht es dem Kleinen“, tönt es von oben. „Wir vermissen dich“, klingt es von unten. Alle können es hören. Doch was es bedeutet, weiß niemand. Unten ist Gebüsch, Versteck, hochschauen, hoffen, dass er da ist. Oben ist warten, sich pressen ans Gitter, sich zeigen wie ein Tier im Zoo. Aber nur so geht jetzt Sprechen. Wenn sie sich oben präsentieren und unten verstecken.

Das Gefängnis, wo die Männer bis zum Urteil sind, steht mitten in der Stadt, am Park. Der Park ist das Glück. Das Gefängnis hat Mauern und Zäune, aber in den Park darf jeder. Die Paare, die Spaziergänger – und sie dürfen es auch. Zwischen dem Zaun und dem Pfad ist eine gute Stelle zum Rufen. Hier sind die Kameras, die Schilder mit dem durchgestrichenen Gesicht: „Kontaktaufnahme verboten! Ordnungswidrigkeit.“

Am Anfang hat jede Angst. Es ist ja verboten. Aber die anderen machen Mut. Es passiert nichts, sagen sie. Die können nichts machen. Sie können sie wegschicken, aber nicht den ganzen Park abriegeln. Hier am Zaun können sie rufen, das Kind hochhalten, die Hände zu einem Herz formen oder einfach nur schauen. Zum Mann, zum Bruder. Solange das Gericht noch untersucht, was er getan hat, ist das hier ihr Platz. Er wartet ja. Er braucht sie jetzt. Sie müssen ihm zeigen, dass sie ihn lieben. Er soll gestärkt zurück in die Zelle gehen.

Manchmal kommen viele ins Gebüsch. Dann übertönen sich die Rufe. Aber zusammen ist es besser als allein. Manchmal ist es trotz allem gut hier. Nur nach schlechten Tagen ist es schwer, das zu rufen, was sie einander sonst flüstern. Dann ist es peinlich, dass die anderen gucken. Sie gehören ja jetzt zur anderen Seite. Seine Strafe ist auch ihre Strafe. Es gibt eine unsichtbare Linie, die sie von den Glücklichen im Park trennt.

Manchmal verstecken sie die Tränen. Manchmal wollen sie, dass die Männer sie sehen. Sie sind auch wütend. Sie müssen jetzt alles selbst entscheiden. Sie sind allein mit dem Kind. Sie stehen da wie Kriminelle im Gebüsch. Und manchmal sind die Männer auch nicht am Fenster. Wie als Strafe, wenn sie am Abend zuvor nicht gekommen sind. Auch sie oben haben Macht. Es ist schwer, sich über die Ferne zu streiten. Aber es ist noch schwerer, wenn sie fremd werden am Fenster, still.

Manchmal kommen Jugendliche und machen sich lustig. Sie filmen ihr Rufen und stellen es ins Internet. Manchmal kommen auch Menschen, die fragen. Aber sie haben abgesprochen, nichts zu sagen. Vielleicht sind es ja getarnte Polizisten. Eine von ihnen macht selbst eine Ausbildung zur Vollzugshelferin. Vielleicht muss sie da straffrei sein samt Familie.

Letztens kam eine Frau mit dunklen Haaren und fragte. Die Neue hat ihr erzählt, manchmal fühlte sie sich hier, als käme sie zu einem Grab. Was macht sie sich wichtig? Warum sagt sie das? Aber es stimmt. Ein bisschen ist es wie Sterben. Ein bisschen sind sie oben wie tot. Hier unten stehen sie vor einer Wand aus Steinen. Und die Rufe sind auch Gebete, nach oben. Erhör mich, lass mich nicht allein. Ja, es stimmt, hier stirbt etwas, die Zukunft mit ihm, aber das will keine hören. Manches wird auch stärker. An den Zaun kommen macht stark. Lernen, die Glücklichen zu ignorieren, macht stark. Sich so zu lieben macht stark.

Selbst wenn sie noch mehr Schilder aufbauen und Kameras. Sie werden trotzdem kommen. Sie müssten das ganze Gefängnis nehmen und es woanders hinsetzen. Und selbst dann, nach dem Urteil, wenn die Männer in ein Gefängnis außerhalb der Stadt kommen, dann werden sie da sein. Sie wissen ja jetzt, wie es geht, wie sie die besten Stellen am Zaun finden. Aber die anderen erzählen von Gefängnissen mit Fenstern zur falschen Seite, wo es keinen Spalt nach oben gibt. Dann bleiben ihnen nur noch die Besuchszeiten, wo sie mit den Männern nah am Tisch sitzen. Das ist gut, aber manchmal ist es auch schön, weg zu sein voneinander. Sich die Liebe zubrüllen.

Sie hoffen auf Freiheit, für die Männer und sich. Und wenn das nicht geht, auf eine Ritze. Wenn es keine Ritze mehr gibt. Dann fühlt es sich wirklich an wie tot.

Foto: © Christa Pfafferott

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