erschienen in der Kolumne „Zwischen Menschen“, taz. die Tageszeitung, 5.4.2019

Es ist Aufguss in der großen Außensauna. „Geruchsrichtung Menthol“, kündigt der Saunameister an: ein Doppel-Aufguss. Die Saunagäste kommen herein, verteilen sich auf den Holztribünen. Es ist still. Die meisten halten sich ein Handtuch vor die Blöße. Andere kommen freien Schrittes, setzen sich betont locker mit geöffneten Beinen hin. Alle Formen, Farben, Generationen, Geschlechter sind versammelt. Da sind nur noch die paar Handtuch-Hüllen und keine Worte, die etwas vortäuschen. Jeder hier ist bloßer Mensch.

Der Saunameister beginnt die Zeremonie: „Ich will euch richtig einheizen“, sagt er. Er kippt den Aufguss-Eimer mit weiter Geste auf die heißen Steine. Es zischt. Der Saunameister häuft Eiswürfel auf die Steine, holt mit seiner Kelle aus und zerschlägt sie. Es spritzt. Er läuft entlang der Reihen und schlägt mit dem Handtuch durch die Luft. Die Hitze brennt. Der Geruch von Menthol breitet sich aus. „Zweite Runde“, ruft der Saunameister laut. „Verkappter Schauspieler“, raunt eine Frau.

Er gießt neuen Aufguss und schwenkt nun mit beiden Armen einen riesigen Fächer über die Saunagäste. Einem Mann mit wollenen Sauna-Hütchen fächert er besonders viel heiße Luft zu: „Ich hab gedacht, dir ist kalt, wegen der Mütze.“ Ein paar lachen. Der Bann ist nun gebrochen.

Die Menschen stöhnen, recken sich der heißen Luft entgegen. In der Hitze löst sich die Scham auf. Es ist so heiß, dass Gäste von den oberen Reihen aufspringen und nach unten ins Freie brechen. „Ah, die ersten geben auf“, ruft der Saunameister, als müsste Sauna Leistung sein. Als er die letzte, heißeste Runde gießt, johlen die Gäste begeistert. Zum Schluss verbeugt sich der Saunameister. Alle klatschen laut. Eine Stunde später ist wieder Aufguss in der Sauna, diesmal ein Meditationsaufguss. Die meisten Gäste sind wiedergekommen.

Nun kommt ein anderer Saunameister mit nacktem Oberkörper hinein. „Ich habe für euch Zitronengras und Lavendel für den Schluss mitgebracht“, sagt er ruhig. Er lächelt und ordnet seine Utensilien, das Eis, die Klangschalen, die er mitgebracht hat. Von ihm geht Ruhe aus. Auf den oberen Bänken sitzt eine Gruppe Männer mit massiven Körpern. Sie sehen irritiert aus, während sie ihm zuschauen. Etwas an dem Saunameister ist anders. Dann sehen es alle. An einem Arm fehlt ihm der Unterarm.

Er gießt etwas Aufguss auf die Steine, schichtet Eis darauf und zerstößt es vorsichtig mit seiner Kelle. Das Eis löst sich auf den Steinen auf und knistert beruhigend. Er fächert mit seiner Hand den Gästen Luft zu. Den nackten Menschen, die ihn betrachten, zeigt der Saunameister eine andere Nacktheit mit seinem Körper. Er bewegt sich ganz natürlich, in sich vollständig. Das regt zum Nachdenken über die eigentliche innere Nacktheit und Verletzlichkeit an.

Nun schlägt der Saunameister die Klangschalen. Der Gong bildet eine Blase im Raum, die wabert, sich weitet, sich mit der weichen Wärme verbindet. Die Menschen schließen die Augen. Auf einmal sind alle ruhig. Ganz nah bei sich. Es ist schön, wie der Saunameister den Raum zu etwas Einzigartigem verwandelt. Als er den Gästen Luft zufächert, grinst hinter seinem Rücken einer der Saunagäste, nimmt den Schlegel und schlägt an eine Klangschale. Ein Gong klingt durch den Raum. Die anderen schauen den Saunameister abwartend an. Er lächelt gelassen und macht weiter: „Ich gieße noch etwas Lavendel-Duft und gehe dann hinaus“, sagt er. „Sie müssen nicht klatschen, wenn ich fertig bin. Lassen Sie die Augen zu. Dann bleiben Sie mehr bei sich.“ Er schlägt einen tiefen Gong, dann schließt er die Tür hinter sich. Langsam öffnen die Menschen die Augen. Sie lächeln zufrieden.

„Da geht noch was“, ruft plötzlich der Saunagast, der zuvor den Gong geschlagen hat. Er nimmt sein Handtuch und fächelt den Gästen entlang der Reihen Luft zu. Manche lachen. Doch es ist, als steche sein Wedeln in die Blase, die der Saunameister geschaffen hat. Das Zarte geht kaputt. Die stille Energie im Raum verflüchtigt sich, viel schneller, als es ihr natürlicher Lauf gewesen wäre. Irgendetwas fehlt nun.

Foto: Christa Pfafferott

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