erschienen in der Kolumne „Zwischen Menschen, taz. Die Tageszeitung, 21.2.2020

Die Stadt an sich ist noch kein Ort. Die Stadt ist manchmal wie ein Apple-Gerät, an dem man immer weniger selbst basteln und ausprobieren kann. Die Wege sind wie geführte Klicks. Durch gerade Straßen, vorbei an massiven Häusern. Klötze werden in letzte Lücken gebaut. Lasst Sicht, will man rufen. Lasst Luft! Das Laufen und Denken wird immer mehr zu dem, was die Stadt von einem will. So wird die Stadt zur toten Stadt. So ist die Stadt kein Ort. Sie macht den Menschen zu ihrem Produkt. Was bleibt, sind Situationen, die der Planung entgehen. Die Freiheit in der Stadt entsteht in der Begegnung. Zwischen Menschen. Zwischen Mensch und Tier. Das sind Momente großer Kraft.

1. Ein junges Mädchen am Park. Sie hat langes Haar. Es flattert im Wind. Neben ihr läuft ein Junge und schaut sie verliebt an. In der Hand hält sie eine Tüte mit Brot. Sie wirft Krumen in die Luft. Um sie fliegen Möwen entlang ihres Wurfs. Sie tanzt mit den Möwen. Sie läuft für die Möwen, sie lacht, sie ist schön. Die Möwen wirbeln um sie, als wären sie selbst verliebt in das Mädchen. Sie kommen auch nah an die Spaziergänger. Fast möchten manche böse sein auf das Mädchen, denn die Möwen sind groß und, wer weiß, vielleicht auch gefährlich. Doch keiner sagt etwas. Zu stark ist ihr Moment. Das Mädchen beherrscht die Luft. Das Leben ist schön und frei und größer als das, was sonst ist.

2. Ein alter Mann. Seine Kleidung ist zerschlissen. Sein Einkaufsroller ist voll Toastbrot. Er zerreißt die Scheiben, schmeißt sie in die Luft. Der Himmel an der Reeperbahn ist voller Möwen. Sie kreischen. Die Menschen schauen auf. Ein Bild wie in Hitchcocks „Die Vögel“. Der Mann wirft still. Er ist unscheinbar. Doch in seinem Wurf liegt die Freiheit, sich selbst zu vergrößern. Er lässt die Vögel kommen. Die Stadt kann noch so verbaut und überwacht sein. In der Berührung der Vögel mit seinem Brot beherrscht er den Raum. Der Mann ist der König der Möwen.

3. Ein schneller Skater. Er fährt durch die Hafencity, entlang an neuen Häuserkästen. Plötzlich streut er im Fahren eine halbe Tüte Körner auf den Bürgersteig. Sofort fliegen Tauben von überall heran. Drei folgen dem Skater, gleiten hinter ihm her, als wäre er ihr Prophet und als wären sie sein Geleit. Der Mann hält, weist den Tauben mit einer Geste des Arms den Weg zurück zu den Körnern. Sie fliegen zu den anderen Tauben. Der Mann rollt lächelnd davon. Hinter sich lässt er einen Platz voller Tauben.

Tiere in der Stadt geben Freiheit. Sie schaffen Resonanz. Etwas Lebendiges reagiert auf die eigene Lebendigkeit. Mit Tieren können Menschen sich selbst spüren, Ursache und Wirkung ihres Handelns erleben. Über das Füttern entsteht Kontakt. Doch eine Handvoll Körner reicht noch nicht, um die Tiere und die eigene Wildheit zu spüren.

In Berlin sind nachts Füchse auf den Straßen unterwegs. In Köln gibt es Tausende von grünen Papageien in den Bäumen, Halsbandsittiche, die einmal aus dem Zoo entflohen sind. In Istanbul sind überall Katzen auf den Straßen. In Hamburg gibt es am Venusberg ein Anwohner-Schild „Eichhörnchen queren“, das die Tiere vor den Autos schützen soll. Die Büsche dort sind voll mit Meisenknödeln. Es zwitschert und hüpft in den Bäumen. Orte, wo Menschen Tiere lieben, sind Orte, die auch Menschen gut tun.

Oft wird in Wahlkämpfen mehr Grün für die Städte versprochen. Doch Tiere werden gar nicht mehr genannt, als hätten wir aufgegeben, von Tieren in den Städten zu träumen. Selbstverständlich wird ihr Fehlen akzeptiert, dass sie, wie bald auch die Menschen, aus den Städten verdrängt wurden. Es müsste Platz sein für Schafe, die weiden, für Kühe, Pferde. Für Leben, das Zufälle und Fürsorge ermöglicht. Eine Stadt mit Tieren macht das Leben zärtlicher. Eine Stadt mit Tieren ist ein Ort, der die Menschen vor den Steinen der Städte schützt.

4. Ein Mann mit zwei Hunden. Eine Kreuzung. Es schaltet auf Grün. Der Mann lässt die Hunde laufen, sie gleiten in weiten Sprüngen über die Straße. Eine Frau an der Ampel sagt: „Ich würde meine Hunde nie so laufen lassen.“ Ein Mann neben ihr schaut den Hunden nach: „Doch, ich finde das schön.“

Foto: Christa Pfafferott

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