erschienen in der Kolumne „Zwischen Menschen“, taz. die Tageszeitung, 13.9.2019

Ein klares Gesicht. Dunkle Augen, lange Wimpern, symmetrische Gesichtszüge. Um das Haar liegt fest ein Kopftuch, das dieses Gesicht umrahmt. Ein Gesicht, in das man gerne schaut. Es ist, als würde dann etwas in einem ruhiger werden.

Ein Stiftungstreffen: Stipendiaten treffen sich ein Wochenende lang in einem Haus am See, Jüngere und Ehemalige. Marwa ist 24, sie studiert, sie will Lehrerin werden.

Wir sitzen zusammen in einem Workshop über „Die Gesetze der Gewinner“. Wir lesen, was Gewinner ausmacht: „Entscheidungen treffen, sich große Ziele setzen, 110 Prozent geben.“ Die Stimmung in der Gruppe wird schnell intensiv. Vielleicht weil wir auf einem Steg sitzen. Hinter uns liegt glatt der See, in dem sich Zusammenhänge andeuten, die sich in anderer Tiefe vollziehen.

Dann meldet sich Marwa: „Es ist richtig, was gesagt wird. Aber es klingt so materialistisch. Mir fehlt etwas. Die Spiritualität. Das Vertrauen, dass man nicht alles lenken kann. An was man auch immer glaubt, das ist doch auch wichtig im Leben.“ Es ist kurz ruhig. Die anderen schauen sie an. Was Marwa sagt, wirkt persönlich, mutig. Klar zeigt sie ihren Glauben, ohne die Überzeugung der anderen zu kennen.
Wir sprechen nun über Vertrauen: „Ich bin keine Araberin“, sagt Marwa. „Aber im Arabischen gibt es ein Sprichwort: ‚Binde dein Kamel an. Und dann vertraue auf Gott.’ Sorge für Sicherheit – und dann lass los.“ Ich schaue sie an. Die Klarheit in ihrem Sprechen beeindruckt mich.

Später im Bus zurück sitzen wir hintereinander. Ich spreche sie auf den Workshop an. „Ja, es war mir wichtig das zu sagen“, sagt sie. „Erfolg umfasst nicht nur den Beruf. Erfolg bedeutet für mich, ein gutes persönliches Leben zu haben. Dass ich nach meiner Überzeugung lebe, meinem Glauben. Dass ich für andere da bin, die Familie.“

Ihre Eltern kommen aus Afghanistan. Sie erzählt, dass sie mit 24 noch zuhause wohnt. Dies sei kulturell bedingt. „Wir wohnen zusammen bis man mit dem Partner zusammenzieht oder durch den Beruf wegziehen muss. Es ist selbstverständlich, eng zusammen zu sein.“ Sie lächelt. „Ich hänge sehr an meiner Mutter. Sie hängt an mir. Es hört sich vielleicht komisch an. Ich möchte nicht von ihr weg. Sie braucht mich, ich unterstütze sie im Haushalt. Ich fühle mich wohl zuhause.“ Wir sprechen über die deutsche Kultur. Dass die meisten wie selbstverständlich nach dem Schulabschluss ausziehen. Mit dem Blick in ihr Gesicht erscheint das auf einmal widersprüchlich.

Sie erzählt, dass sie bis zum Abitur ohne Kopftuch gelebt habe. Danach habe sie ein Jahr Auszeit genommen. In dieser Zeit sei in ihr die Entscheidung gereift, ein Kopftuch zu tragen, auch gegen die Angst, was ihre Familie sagt, was die Nachbarn reden. „An einem Tag bin ich mit dem Kopftuch rausgegangen. Ich habe mich damit wohl gefühlt. Ich habe gespürt, dass es stimmt. Das war ein schöner Tag“, sagt sie. „Ich erinnere mich noch heute an diesen Tag.“ Sie lächelt. Und ich denke, wie selten das ist. Dass Menschen von Tagen erzählen, die durch einen inneren Prozess besonders wurden – nicht durch äußere Sichtbarkeit – eine Feier, einen Abschluss. Innere Tage, in denen etwas in eine neue Richtung geht, an denen etwas lange Durchdachtes klar wird. Unsichtbarer Erfolg.

Wir reden darüber, dass Marwa Lehrerin werden wird. „Es gibt zu wenige Lehrerinnen mit Migrationshintergrund“, sagt sie. „Dabei ist das für viele Schüler wichtig, auch für die Eltern.“ „Ja“, sage ich, „weil die Schüler durch dich die muslimische Kultur neu kennenlernen. Und auch ihre Eltern, die vielleicht keine gute Einstellung dazu haben“. Kurz meine ich ein Zucken auf ihrem Gesicht zu spüren. Sie sagt nichts. Doch ich denke, dass sie es vielleicht anders gemeint hat. Positiv. Dass sie nicht die bekehrt, die Schlechtes denken. Sie hat an die Schüler gedacht, denen sie helfen kann, die Eltern, die sich ihr anvertrauen, weil sie nah an Marwas Kultur, ihren Erfahrungen liegen. Eltern, die sonst vielleicht an den Institutionen gar nicht dieses Gesicht haben, in das sie sprechen können. Dieses klare Gesicht, das einem selbst ganz neue Gedanken bringt.

Foto (Symbolbild), Text: Christa Pfafferott

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