erschienen in der Kolumne „Zwischen Menschen“, in taz. die Tageszeitung, 22.7.2022

Ein Friseursalon. Draußen ist es fast 40 Grad warm. Hier drinnen ist es kühl. Der Raum ist klimatisiert. Der Salon ist modern und großflächig. Der Friseur ist mir empfohlen worden. Die junge Mitarbeiterin am Empfang, die meine Daten aufnimmt, hat grausilbern gefärbtes Haar, wie es gerade Mode ist. Sie schaltet ihr Lächeln auf perfekte Weise an und aus. Außer mir ist nur ein anderer Kunde da.

Die Friseurin leitet mich zu einem Stuhl und berät mich, wie wir mein Haar schneiden. Im Spiegel hinter mir an der Wand sehe ich einen kleinen, zierlichen Mitarbeiter mit schwarzem Haar. Er steht mit dem Rücken an die Wand gedrückt und nickt, als sie ihm Anweisungen gibt.

„So, dann wird jetzt erst mal unser Kollege übernehmen“, sagt sie. Sie geht zu dem anderen Kunden, dem sie den Nacken ausrasiert. Ihr Kollege kommt vorsichtig auf mich zu. Er gibt mir ein feuchtes Tuch für meine Hände, dann führt er mich zum Waschbecken und wäscht meine Haare. Vorsichtig fragt er nach, ob die Temperatur stimme, ob ich es bequem habe.

Er arbeitet sehr konzentriert und vorsichtig. Die ganze Zeit über ist er still. Ein Mensch, der nicht viel Raum einnimmt. Bei seinen wenigen Fragen bemerke ich, dass sein Deutsch nicht ganz fehlerfrei ist. Vielleicht spricht er auch deswegen nicht viel.

Ich schließe die Augen. Die Stille tut gut. Die Kühle tut gut. Vorsichtig shampooniert er mein Haar. Als der Mitarbeiter fertig ist, führt er mich zum Friseurstuhl zurück. Achtsam hängt er mir einen Umhang um, legt mir ein feuchtes Tuch in den Nacken.

Plötzlich sagt er: „Es ist sehr kühl hier im Salon.“ „Ja“, antworte ich. „Angenehm.“ „Ich habe diese Nacht geträumt“, sagt er auf einmal. „Die Eingangstür vorne ist zugefallen. Und dann bin ich hier durch den Raum geflogen zum anderen Ausgang. Ich hatte Angst“, sagt er.

Ich schaue ihn an. In dieser sterilen Atmosphäre, in der plötzlich in das tiefe Schweigen hinein dieser Traum von ihm dringt, komme ich mir auf einmal vor wie in einem japanischen Kunstfilm. Oder als säße ich in einer Szene von einem Haruki Murakami-Roman. Ich schaue den Mitarbeiter an: Warum erzählt er so plötzlich von seinem Traum?

In dem Moment gleitet die Kollegin durch die klimatisierte Luft zu uns. „Was hast Du gesagt?“, fragt sie den Mitarbeiter. Er wiederholt wortwörtlich seinen Traum. „Und ich hatte Angst“, endet er. Seine Kollegin lächelt starr. Es scheint ihr nicht zu gefallen, dass er einer Kundin von seinen nächtlichen Salon-Albträumen erzählt.

Ich lächle, um zu signalisieren, dass ich an seiner Geschichte nichts merkwürdig finde. Als er gegangen ist und sie mir die Haare schneidet, sage ich: „Es ist sehr angenehm, wie Ihr Kollege arbeitet.“ „Ja. Unser L.“, antwortet sie. Ich verstehe den Namen nicht, den sie sagt. Und warum sagt sie eigentlich unser? „Unser“, das suggeriert, er würde dazugehören. Aber von einem gleichberechtigten Kollegen spricht man nicht als „unser“, als wäre er ein Haustier oder Maskottchen.

„Er ist im dritten Lehrjahr“, sagt sie dann. „Er ist fleißig und bemüht sich. Aber das Fachliche“, sie macht eine Pause und schaut mich im Spiegel an: „Das Fachliche fehlt etwas.“

Später, als sie fertig ist, kommt noch einmal der Mitarbeiter zu mir und nimmt mir den Umhang ab. „Ich hatte gerade Friseur-Prüfung. Aber ich bin durchgefallen“, sagt er. Wieder spricht er so offenherzig. So direkt. „Durch die theoretische Prüfung. Wirtschaft“, sagt er. „Jetzt muss ich noch auf das mündliche Ergebnis warten. Ich bekomme bald Nachricht.“

„Viel Glück“, sage ich zum Abschied. Er streckt die Faust nach oben, als würde er sich Mut machen wollen. Dann verschwindet er in ein Kämmerchen, um Farben zu mischen. Ich trete nach draußen in die Hitze. Und bekomme eine Gänsehaut, als ich daran denke, was der Mitarbeiter gleich zu Beginn zu mir gesagt hat: „Es ist sehr kühl hier im Salon.“

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